Der diesjährige Kunstpreis geht an Christoph Balmer für seine Werkserie «TV».
Die Preisverleihung hat am 9. Januar 2025 im Kulturmuseum Bern stattgefunden.
Die Laudatio hielt Raphael Urweider
Lieber Christoph, ich fühle mich geehrt, hier die Laudatio für dich halten zu dürfen, aber du hast dir dafür wohl den ganz falschen ausgewählt. Ich besass nie in meinem Leben einen Fernseher. Ich war immer ein Radiokind mit sehr speziellen Vorstellungen, wie die Leute aussahen, deren Stimmen ich kannte. Ich habe mir lange die meisten Bilder selber gemacht, so war auch der Schritt vom Hörer zum Leser nicht ein allzu grosser. Heute sind wir alle bildschirmisiert, ich auch, wohl die meisten nicht mehr mit grossen Fernsehern an den Wänden, diesen Nachfolgern der Lagerfeuer und Cheminées.
Grosse Bildschirme hatten noch immer etwas Verbindendes, sie waren Meinungsmacher für ganze Familien, ja, Sippen, sie haben Stereotypen generiert, Inhalte für die DaZ, die Dümmsten anzunehmenden Zuschauenden geliefert, und wir sind alle zusammen allem gemütlich gefolgt. Fernseher waren nicht so sehr Geräte, die einem die Ferne sichtbar gemacht haben, sondern immer schon Bildnis-Generatoren. Sie haben die unverständliche, chatoische Welt in einen kleinen Kasten gebannt, und die allzu komplizierten Dinge weggelassen. So sehr auch immer schlechte Nachrichten im Fernsehen kamen, hatten sie doch auch den warmen Glimmer einer aufgeräumten Welt. Das Programm bestimmte den Tagesablauf, die Skirennen kamen immer zur gleichen Zeit und verkürzten dunkle Wintermittage, der Krimi kam Dienstags um acht, so wurde das Freizeitgeschehen rythmisiert. Wir verstanden das nie als staatliche Steurerung oder Beeinflussung, sondern es war Teil der Volkskultur, ja, Volksseele wie eben früher vielleicht ein Lagerfeuer.
Langsam – lieber Christoph, du weisst es – neigt sich die Zeit der grossen Familienbildschirme ihrem Ende zu. Zeit also, diesem Brauchtumsgegenstand ein Denkmal zu schaffen, dachtest du dir wohl, als du diese Ölbilder im 45 Zoll Format maltest. Wir sind alle bildschirmisierter als je, aber die Bildschirme sind kleiner, mobil, und das Programm ist – scheinbar – nicht mehr vorgegeben und an Zeiten gebunden. Während die Welt draußen, zumindest hier in der Schweiz, leiser wird, die Plätze auch ohne Pandemie leer bleiben, spontane Begegnungen kaum stattfinden und die Leute sich nicht mehr in die Augen schauen, geht es auf den Bildschirmen und den dezentralen Rechnern so richtig ab. Zensurbehörden und Faktenchecker werden ersetzt mit Arbeitssklaven, die in Kenias Sillicon-Valley für fünf Dollar pro Tag alles gruusige aus den KIs verbannen und dann an posttraumatischen Störungen Leiden und mit “Community Notes” bei denen die Schwarmintelligenz die Wahrheit herausfinden, ja, “erspüren” soll. Unsere Sehnerven werden genervt wie noch nie. Stimuliert bis zur Betäubung. Wir sehen nur noch in die Nähe, Kinder brauchen Brillen, bevor sie zur Schule gehen. Fern sehen ist vorbei, wir kleben an diesen Aufregungs- und Radikalisierungs- und Hass-bildschirmchen und schirmen uns ab, blenden alles andere aus. Fernseh- und Radioprogramme waren nie auf Einzelne massgeschneidert, wir wurden immer auch mit Inhalten konfrontiert, von denen wir nicht wussten, dass sie uns interessieren.
Christophs Bildschirme bleiben leer. Nein, sie bleiben schwarz. Nein, sie werfen kaum Licht zurück. Sie sind Bilder, nicht Bildschirme, Bilder, nicht Bildnisse. Sie sind Balsam für den Sehnerv. Und die Fernbedienung liegt als haptisches Wohlfühlstück leicht in der Hand. Ich habe die Kontrolle nicht, ich habe ein Stück Holz. Ich habe es in der Hand, nicht im Griff. Ich wähle keinen anderen Sender, ich spiele mit einem Holzspielzeug während ich in Ruhe Schwärze anschaue.
Ich liebe diese Kunst. Und ich liebe Christoph Balmer. Und wegen dem zitiere ich noch ein Bisschen Max Frisch, aus “Du sollst dir kein Bildnis machen” von 1946:
Es ist bemerkenswert, dass wir gerade von dem Menschen, den wir lieben, am mindesten aussagen können, wie er sei. Wir lieben ihn einfach. Eben darin besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der Liebe, dass sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält, in der Bereitschaft, einem Menschen zu folgen in allen seinen möglichen Entfaltungen.
“Die Liebe befreit es aus jeglichem Bildnis. Das ist das Erregende, das Abenteuerliche, das eigentlich Spannende, dass wir mit den Menschen, die wir lieben, nicht fertigwerden; weil wir sie lieben, solang wir sie lieben. Man höre bloss die Dichter, wenn sie lieben; sie tappen nach Vergleichen, als wären sie betrunken, sie greifen nach allen Dingen im All, nach Blumen und Tieren, nach Wolken, nach Sternen und Meeren. Warum? So wie das All, wie Gottes unerschöpfliche Geräumigkeit, schrankenlos, alles Möglichen voll, aller Geheimnisse voll, so unfassbar ist der Mensch, den man liebt –
Der Preisträger
Christoph Balmer ist nicht nur als Künstler tätig, sondern auch als Kulturvermittler, Kurator und Netzwerker. Während 13 Jahren leitete er das Berner Kulturhaus Dampfzentrale und war mit der Internetkunstgruppe ETOY ein sehr früher Pionier der Medienkunst. Im Bereich der damals noch unbekannten Kunstrichtung veranstaltete Christoph Balmer zahlreiche Festivals und Happenings. Seine aktuelle Werkserie «TV» hat die Jury des SEHNERV Medienkunstpreises überzeugt.
Bild und Gegenbild
Die preisgekrönte Werkreihe »TV« ist ein eindrucksvolles Beispiel für Balmers konzeptuelle Auseinandersetzung mit den Massenmedien und deren Auswirkungen auf unseren Alltag und auf unser Denken. Die Werkserie beschäftigt sich mit der allgegenwärtigen Präsenz der Medien in unserer Gesellschaft. Beispielsweise konsumiert in der Schweiz jede Person durchschnittlich 140 Minuten Fernsehen pro Tag. Dieses Phänomen greift Balmer in einer Serie von monochromen, schwarzen Gemälden auf. Die Masse der Leinwände entsprechen den gängigen Formaten von TV-Geräten. Wir sind gespannt, welche „Programme“ und Bildwelten von den Betrachterinnen und Betrachtern in den schwarzen Flächen der Malerei entdeckt werden.
Soziale oder asoziale Medien?
Bereits seit dem Siegeszug des Fernsehens (in der Schweiz seit 1951), gab es immer wieder Bedenken zu den gesellschaftlichen Auswirkungen eines solchen Massenmediums. Die gleichen Bedenken folgten auch bei allen nachfolgenden Massenmedien wie dem Internet und den sogenannten sozialen oder asozialen Medien. Mit seiner Werkreihe »TV« wirft Christoph Balmer einen unkonventionellen und kritischen Blick auf die Bedeutung die den allgegenwärtigen Massenmedien zugesprochen wird.
Ausstellungsdauer:
10. bis 25. Januar 2025
Kulturmuseum, Schützenweg 22, Bern
Öffnungszeiten: Do-Sa 14-18 Uhr
Webseite des Künstlers:
Kulturstammtisch im Rahmen der Ausstellung «TV» des Konzeptkünstlers Christoph Balmer
mit Eric Facon, Katrin Winzenried, Matto Kämpf, Raphael Urweider, Nicoletta Cimmino, Marcy Goldberg, Guy Krneta, Mikael Krogerus, Andreas Mauz, Patricia Schneider, Raphael Urweider, Hank Shizzoe, 2.3.2025